Papa mit Sehbehinderung
Persönlichkeiten
Am 9. Juni ist Vatertag. Unser Mitglied und freiwilliger Mitarbeiter Michele erzählt wie es ist, Vater zu sein.
Es gibt Themen, da reden alle Leute mit. Elternschaft ist so ein Thema, egal ob man selber Kinder hat oder nicht. Was darf man Kindern zutrauen? Wieviel Verantwortung dürfen Kinder tragen? Soll man sie viel fördern und bereits im Kleinkindalter in diverse Kurse schicken oder ihnen ihre unbeschwerte Kindheit lassen? Fragen, zu denen sich viele Menschen bemüßigt fühlen, eine Antwort zu geben. Hat ein Teil oder beide Eltern eine Behinderung, kann diesen sogar die Erziehungsfähigkeit abgesprochen werden. In Österreich leben zurzeit rund 14.000 Kinder nicht bei ihren leiblichen Eltern. Nicht selten ist eine Behinderung der Eltern der Grund für die Kindesabnahmen, wie ein aktueller Artikel zeigt.
(K)ein gewöhnlicher Vater
Für uns Grund genug, unseren freiwilligen Mitarbeiter und Mitglied der Hilfsgemeinschaft Michele zum Thema Vaterschaft zu interviewen. Vielleicht können wir damit auch ein paar Ängste und Sorgen zerstreuen und zeigen, dass Verantwortungsbewusstsein und Erziehungskompetenz nicht von einer Behinderung beeinträchtigt werden.
Michele ist ein langjähriges Mitglied der Hilfsgemeinschaft und als freiwilliger Mitarbeiter eine große Unterstützung bei unseren Sensibilisierungs-Workshops in Schulen und Universitäten. Er ist glücklich verheiratet und Vater zweier Töchter. Anlässlich des Vatertags am 9. Juni gibt er uns einen Einblick in sein Leben als „blinder Papa“.
Michele erzählt
Ich bin seit dem Jahr 2000, also knapp 19 Jahre, mit meiner Frau zusammen. Im selben Jahr hat auch meine Sehverschlechterung angefangen. Nach einem Sehsturz der meine Sehnerven beeinträchtigte, habe ich nur mehr 60 Prozent gesehen. Die Sehverschlechterung kam dann sehr schleichend. Heute mit 41 Jahren bin ich vollkommen blind.
Als ich 2006 mit 28 Jahren das erste Mal Papa wurde, war meine Sehbeeinträchtigung soweit fortgeschritten, dass ich der Bitte der Krankenschwester „den Speisplan für meine Frau auszufüllen“ nicht nachgehen konnte. Trotzdem waren die kommenden täglichen familiären Aufgaben wie Windel wechseln, kochen, einkaufen oder abwaschen kein Problem für mich. Da ich aufgrund meiner Erblindung ein Jahr zuvor pensioniert wurde, konnte ich mich jetzt als „Hausmann Michele“ verwirklichen. Meine Frau fand schnell wieder in ihren Job zurück und ich kümmerte mich ab nun um unsere gemeinsame Tochter Elena und den Haushalt. Zwei Jahre später wurde unser Glück vollkommen und unsere Familie durch die Geburt von Luisa im Jahr 2009 vervollständigt.
Fortan bestand mein Alltag darin, mich um unsere zwei Kinder zu kümmern – eine wunderschöne und erfüllende Aufgabe. Den Vormittag verbrachten wir meistens am Spielplatz, danach habe ich für uns gekocht und nach dem Mittagessen wurde das tägliche Mittagsschläfchen gehalten. Bis unsere älteste Tochter mit eineinhalb Jahren eine Allergie entwickelte, habe ich auch noch für unseren Hund gesorgt. Schweren Herzens mussten wir ihn aufgrund Elenas Allergie an einen lieben Nachbarsjungen abgeben. Wir waren sehr froh, ihn trotzdem in unserer Nähe zu haben und wussten, dort ist er in liebevollen Händen.
Mobilität dank Langstock
Bei Schuleintritt unserer Jüngsten war meine Sehbeeinträchtigung so weit fortgeschritten, dass ich mich mit einem Langstock sicherer fühlte und diesen fortan verwendete. Der Langstock ermöglichte mir auch weiterhin Mobilität und Selbstständigkeit. Ich brachte unsere Kinder in die nahegelegene Volksschule, holte sie wieder ab, kochte das Mittagessen und spazierte mit ihnen in den Park und zum Spielplatz. Natürlich waren unsere Kinder früh selbstständig. Vielleicht ein bisschen früher, als das bei anderen Kindern der Fall ist. Ich habe bereits sehr früh großes Vertrauen in meine Kinder gesetzt. Ich denke nicht, dass das für sie zum Nachteil war. Sie haben jedoch nie Aufgaben für mich übernommen. Uns war es wichtig, dass sie altersgerechte Tätigkeiten übernahmen, die ihre Entwicklung förderten. Wir machten es nicht zu ihrer Aufgabe, Verantwortung für mich zu übernehmen. Denn trotz meiner Sehbeeinträchtigung bin ich gut in den Haushalt integriert und lebe mein Leben selbständig und ohne Bevormundung. Nur das Kochen habe ich mit meiner vollständigen Erblindung aufgegeben - das war mir dann einfach zu stressig.
Micheles Frau merkt an:
„Natürlich gibt es auch Herausforderungen. Zum Beispiel mussten die Kinder am Spielplatz meinen Mann suchen, statt er unsere Kinder. Ab und zu nutzen sie es freilich manchmal aus, an ihm vorbei zu schleichen und sich das Notebook zu schnappen, ohne dass Michele es merkt.“
Ich denke jedoch, ergänzt Michele, dass ihr selbstständiges Handeln und die frühe Eigenverantwortung mit meiner Blindheit zusammenhängen. Ihre frühe Selbstständigkeit hat sich auch auf ihre schulische Leistung positiv ausgewirkt. Unsere Kinder sind sehr gut in der Schule. Als ehemaliger Programmierer bin ich in Mathematik und technischen Dingen sehr gut und kann meinen Töchtern bei den Hausaufgaben helfen.
Erfülltes Leben
Dass meine Familie und ich ein harmonisches und erfülltes Leben trotz meiner Sehbehinderung haben, verdanke ich zu einem großen Teil meiner Frau. Sie war immer eine enorme Unterstützung für mich und die treibende Kraft. Als ich aufgrund meiner Sehschwäche meine Mobilität verlor, war sie es, die mir ohne Vorbehalte zum Langstock riet und mich von der Nutzung des Langstocks überzeugte.
Darüber bin ich sehr froh, denn dadurch konnte ich mich wieder frei und unabhängig bewegen. Mit der „Kennzeichnung“ Langstock lebt es sich leichter. Einzig als meine Kinder in die Schule gekommen sind, haben Mitschülerinnen und Mitschüler begonnen neugierige Fragen zu stellen. Das war meinen Töchtern unangenehm. Deswegen bin ich gleich in die Offensive gegangen und habe mich den Schülerinnen und Schülern in einer Unterrichtsstunde vorgestellt. Sie durften meinen Langstock ausprobieren und ich habe ihre Fragen beantwortet. Die Kinder haben alle sehr positiv reagiert. Ich war dann der coole Papa den alle kannten. Ich habe nie eine Anfeindung erlebt. Ich glaube, Offenheit und Dialog sind wichtig, um Vorurteile und Hemmschwellen abzubauen. Deswegen engagiere ich mich in der Hilfsgemeinschaft in Workshops und Vorträgen an Schulen, um das Verständnis für blinde und sehbehinderte Menschen zu fördern.